Let's Watch Together!

Reality-Doku-Soaps (Deutsch) Teil 1

Neben dem "Let's Read Together" soll es auch ein "Let's Watch Together" geben. Hier soll die Diskussion und Analyse filmischer Formate einen Platz haben.

Beginnen möchte ich diesen Teil des Blogs mit einer Frage, die mich nun schon eine Weile beschäftigt: Weshalb gibt es so viele Reality-Soap-Formate und warum "funktionieren" sie für die TV-Sender und scheinbar auch für ihr Publikum. Klar, eine Antwort ist, dass sie extrem billig in ihren Produktionskosten sind. Aber das ist ja nur eine halbe Antwort. Warum werden solche Sachen geschaut? Wer ist die Zielgruppe? Wer schaut sie und warum? Was und wie erzählen solche Sendungen? In den letzten Jahren ist mir außerdem eine Verschiebung aufgefallen. Vor so ungefähr zehn Jahren wurden "Gerichtsshows", die vorher ihrerseits die Nachmittags-Talkformate wie "Britt" und "Arabella" abgelöst hatten, von Sendungen wie "Mitten im Leben" und "Frauentausch" verdrängt. Vor ein paar Jahren wurden dann "Mitten im Leben" und Co widerum von Sendungen wie "Armes Deutschland" und "Hartz aber herzlich" ersetzt, was ich nocheinmal als eine weitere signifikante Veränderung sehe. Gibt es dafür einen Grund? Gibt es eine zu beobachtende gesellschaftliche Dynamik oder zumindest eine mediale? Wenn man* ein wenig recherchiert, wird schnell klar, dass die Forschungslage zu diesem Thema eher dünn ist. Es gibt wenig wissenschaftliche Artikel oder Paper hierzu. Deshalb will ich hier nun einmal beispielhaft ein, zwei Folgen dieser Sendungen selbst analysieren und schauen ob das irgendeinen Erkenntnisgewinn bringen kann. Zu Hilfe nehmen werde ich die wissenschaftlichen Arbeiten, die ich dazu finden konnte.

Part I "Armes Deutschland" mit dieser Folge:

https://www.youtube.com/watch?v=Ep1pagAJMz0

Da das hier der erste Eintrag ist, schauen wir uns doch, bevor wir uns der eigentlichen Folge widmen, kurz das Intro der RTL II Reality-Soap „Armes Deutschland“ an. Zunächst einmal fällt auf, dass dort alles in der Farbpalette Grau-Schwarz-Rot gehalten ist. Das weckt eine emotionale Erwartungshaltung. Wir sehen als erstes Bild einen fiktiven Zeitungsauschnitt mit der Überschrift „Arm trotz Arbeit“ und dazu das Foto einer jungen Frau mit einem leeren, roten Portemonnaie in der Hand. Die Geldbörse ist das einzig farbige auf diesem ersten Screen. Im Hintergrund ist außerdem ein Ortsausgangschild zu sehen auf dem die Ortsnamen durch die Begriffe "Arbeit" und "Hartz 4" erstezt wurden, wobei "Arbeit" durchgestrichen ist. So wird das Assoziationsdreieck Armut-Hartz4-Erwerbslosigkeit etabliert. Der zweite Screen wird noch deutlicher. Er zeigt ein Schild mit der Frage "Land der Sozialschmarotzer?". Das ist also unser Ausgangspunkt. Mit dieser Frage im Kopf sollen wir Zuschauer'innen die Sendung schauen. Der dritte Screen des Intros ist dann wieder ein fiktiver Zeitungsausschnit mit der Aufschrift „Lohnt sich Arbeit in Deutschland?“. Schon bevor jeglicher Inhalt präsentiert wird, legt es das Format auf Reaktionsprovokation beim Publikum an. Gezielt werden Zuseher'innen bereits durch das Sendungs-Intro in eine Richtung manipuliert. "Hartz4" und "Arbeit lohnt sich nicht" sollen in einem Kontext gesehen und eine Beziehung zwischen dem Begriff und der Aussage geknüpft werden. Der vorletzte Screen des Intros sagt abschließend "10 Jahre Hartz4 – Die Abrechnung!". Danach ist der Sendungtitel zu sehen: "Armes Deutschland – stempeln oder abrackern". Hier haben wir nun das Konzept der ganzen Show in einem Halbsatz. Es wird eine Dichotomie zwischen Arbeit und Hartz4-Bezug konstruiert ("abrackern" vs "stempeln"). Ersteres wird zunächst vermeintlich heroisiert und romantisiert ("abrackern"). Nun beginnt die Folge. Wir sehen ein Schnittbild mit Kölner Dom und Rhein und ein'e Sprecher'in holt uns ab. Nach der Ortsangabe stellt uns die Erzählstimme die ersten Protagonist'innen vor:

„In Köln Mühlheim lebt Familie „[piieeep]“ seit zwei Jahren von Arbeitslosengeld II, dem sogenannten Hartz4“.

Diese Vorstellung durch die Sprecher'in ist bemerkenswert. Die erste Information und damit die, auf die am meisten Wert gelegt wird, ist der ALGII-Bezug der Familie. Auch das "piepsen" des Familiennamens ist wahrscheinlich Kalkulation. Damit will das Format Glaubwürdigkeit gewinnen und einen "Doku"-Anspruch zur Schau stellen. Während die Sprechinstanz die Familie vorstellt, sehen wir sie auf einem Spielplatz. Nach ein paar Schnitten stellt sich die Familie dann selbst konkrekter vor:

„Ich bin Markus“ „Ich bin Jessica, und das ist unser Sohn Jerome und wir erwarten unser zweites Kind.“ „Wir bekommen Hartz4. Wir haben im Monat 954 Euro zum Leben.“ (min 00:20)

Man* hört sehr deutlich, wie zusammengeschnitten die Aussagen sind. Die Übergänge sind hoplrig. Das war ursprünglich kein zusammenhängend gesagter Text. Des Weiteren ist es eigentlich überflüssig den Hartz4-Bezug nocheinmal in die "Selbstvorstellung" der Familie mithineinzuhmen, da wir diese Information bereits von der Sprechinstanz bekommen haben. Es handelt sich hier also um ein Stilmittel. Unter allen Umständen soll der Fokus des Publikums auf dem Hartz4-Bezug liegen und bleiben. Unterstrichen wird dies noch dadurch, dass gezeigt wird, wie Vater Markus Geldscheine in der Hand hält. Hierbei liegt die Aufmerksamkeit der Kamera auch kurz auf dem tattoowierten Arm des Mannes. Dann übernimmt wieder die Erzählstimme:

„Außerdem zahlt ihnen das Jobcenter die Miete und die Heizkosten.“

So wie es hier geframed und betont wird, soll vermutlich der Eindruck enstehen, dass das alles doch sehr viel Geld wäre. In der folgenden Sequenz wird die Familie zu Hause gezeigt und wir hören Dinge wie:

„[…] Jessica hat noch nie richtig gearbeitet, Markus seit mehr als zwei Jahren nicht mehr. Ändern wollen sie daran nichts.“ (min 00:38)

Die Erzählstimme gibt klar vor, wie die Zuschauer'innen werten sollen. Markus und Jessica werden als faul, motivationslos und schlechte Eltern dargestellt. Es wird alles getan, um beim Publikum ein Gefühl der Ablehnug und Empörung, aber auch das der Überlegenheit zu erzeugen.

Part II folgt.